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Die Besteigung des Mont Ventoux

Brief an Francesco Dionigi von Borgo San Sepolcro

Den höchsten Berg dieser Gegend, den man nicht unverdient Ventosus, den Windumbrausten, nennt, habe ich am heutigen Tage bestiegen, einzig von der Begierde getrieben, diese ungewöhnliche Höhenregion mit eigenen Augen zu sehen.

Viele Jahre hatte ich den Plan zu dieser Bergwanderung mit mir herumgetragen; seit meiner Kindheit lebe ich ja, wie Du weißt, hier in dieser Gegend, wie eben das Schicksal die Menschen hierhin und dorthin verschlägt, und dieser Berg, der von allen Seiten weithin sichtbar ist, steht mir sozusagen ständig vor Augen.

Nun aber packte es mich, endlich einmal auszuführen, was ich jeden Tag schon ausführen wollte, zumal ich tags zuvor zufällig in der Römischen Geschichte des Livius auf die Stelle gestoßen war, wo der Makedonenkönig Philipp V. - derselbe, der mit dem römischen Volk Krieg geführt hat - den Berg Haemus in Thessalien besteigt. Er hatte der Kunde Glauben geschenkt, man könne vom Gipfel dieses Berges aus zwei Meere sehen, das Adriatische und das Schwarze Meer. Ob das nun richtig oder falsch ist, habe ich nicht mit genügender Sicherheit ergründen können. Der Tatbestand ist schwer zu klären, da der Berg von unserer Welt so weit entfernt ist und die Schrift-steller darüber unterschiedlicher Meinung sind. Wäre es für mich so einfach, jenen Berg zu erkunden wie diesen hier, so wollte ich in der Sache bald Klarheit schaffen.

Um aber nun von dem anderen Berg zu diesem hier zu kommen: Ich war der Meinung, als junger Mann, frei von öffentlichen Ämtern, würde ich Verzeihung finden für eine Unternehmung, die man bei einem alten Mann, einem König, nicht tadelt.

Als ich aber über einen Begleiter nachdachte, da erschien mir, so seltsam das klingen mag, kaum einer meiner Freunde dafür richtig geeignet; so selten trifft man selbst unter guten Freunden eine völlige Übereinstimmung aller Neigungen und Gewohnheiten. Der eine ist mir zu träge, der andere zu lebhaft, der ist zu langsam, der zu hastig, der zu trübsinnig, der zu lustig, der hat weniger, und der hat mehr Verstand als mir lieb ist. Beim einen schreckt mich seine Schweigsamkeit, beim anderen seine Geschwätzigkeit, einer ist mir zu schwer und zu fett, wieder einer zu mager und schwächlich. Da stößt mich kalte Teilnahmslosigkeit ab, dort wieder allzu hitziger Eifer. Solcherlei nimmt man, wenn es auch belastend ist, zu Hause in Kauf - die Liebe erträgt alles, wie Paulus sagt, und die Freundschaft nimmt jede Bürde auf sich -, unterwegs aber wird es zu einer allzu schweren Belastung.

So wog ich mit Feingefühl und auf ein ehrenwertes Reisevergnügen bedacht, jedes Für und Wider umsichtig ab, ohne die Bande der Freundschaft zu verletzen. Ich verwarf in der Stille alles, was sich in der Vorausschau als lästig für die geplante Reise erweisen konnte.

Und was glaubst Du - schließlich suche ich Hilfe im eigenen Haus: Ich eröffne die Sache meinem Bruder, dem einzigen, den ich noch habe, jünger als ich, Du kennst ihn ja gut. Nichts hätte ihm lieber sein können; er schätzte sich glücklich, mir Freund und Bruder zugleich sein zu dürfen.

Am festgesetzten Tag brachen wir von zu Hause auf und kamen gegen Abend nach Malaucène; das ist ein Ort am Fuße des Berges, in nördlicher Richtung. Dort blieben wir einen Tag, und heute nun endlich bestiegen wir, jeder mit einem Diener, den Berg, und wir hatten nicht wenig Beschwerlichkeiten dabei. Er bildet nämlich ein steil abfallendes, fast unzugängliches Felsmassiv. Aber schön hat es der Dichter Vergil ausgedrückt: Mühe besiegt alles, die rastlose. Ein langer Tag vor uns, linde Luft, der Aufschwung unseres Geistes, Kraft und Gewandtheit des Körpers und alles, was dazu gehört, kamen uns beim Wandern zustatten, einzig die Natur des Ortes leistete uns Widerstand.

Einen uralten Hirten trafen wir an den Hängen des Berges; er bemühte sich wortreich, uns vom Aufstieg zurückzuhalten, und erzählte, er habe vor fünfzig Jahren mit ebensolchem jugendlichen Feuergeist den höchsten Gipfel erstiegen. Aber er habe von dort nichts mitgebracht außer Enttäuschung und Erschöpfung, die Haut und die Kleider zerrissen von Felszacken und Dornen, und man habe bei den Leuten hier weder vorher noch nachher jemals etwas von einem ähnlichen Abenteuer gehört. Das rief er uns zu, und - wie junge Leute so sind, sie wollen ja nicht auf Warnungen hören - wir wurden durch sein Mahnen in unserem Eifer nur noch bestärkt. Daraufhin ging der Alte, nachdem er die Vergeblichkeit seines Bemühens eingesehen hatte, eine kurze Wegstrecke mit in die Felsen hinein und wies uns mit dem Finger einen steilen Pfad. Viele Ermahnungen gab er uns mit auf den Weg, und viele Seufzer stieß er hinter unserem Rücken noch aus, als wir schon längst weitergegangen waren. (... )

Ein Gipfel ist da, der höchste von allen, den die Bergbewohner das "Söhnlein" nennen, warum, weiß ich nicht - vielleicht nach dem Prinzip des Gegensatzes; er erscheint nämlich in Wahrheit als der Vater aller benachbarten Gipfel. Auf seinem Scheitel befindet sich ein kleines Hochplateau, dort ließen wir uns endlich ermattet zum Ausruhen nieder. Und da Du nun gehört hast, welche Gedanken beim Aufstieg in meinem Herzen mit mir emporstiegen, so höre, mein Vater, nun auch noch das übrige und wende, ich bitte Dich, eine einzige von Deinen Stunden daran, zu lesen, was ich an einem Tag vollbracht habe.

Zuerst stand ich da wie benommen von der ungewohnten Luft und dem ganz freien Rundblick. Ich schaue nach unten: Wolken schweben zu meinen Füßen, und schon scheinen mir Athos und Olymp nicht mehr unglaubhaft: Was ich von ihnen gehört und gelesen habe, erblicke ich auf einem weniger berühmten Berg nun mit eigenen Augen. Ich wende meinen Blick jetzt nach der Seite, wo Italien liegt - die Gegend, zu der sich mein Geist so sehr hingezogen fühlt.

Die Alpen selbst, eisstarrend und schneebedeckt, die einst der wilde Feind des Römernamens überstieg - mit Essig hat er dabei, wenn wir der Überlieferung glauben wollen, die Felsen gesprengt - die Alpen schienen mir greifbar nahe, obwohl sie doch so weit entfernt sind. Ich seufzte, ich gestehe es, nach dem Himmel Italiens, der mir mehr vor der Seele als vor den Augen stand. Und ein heißes, unauslöschliches Feuer der Sehnsucht ergriff mich, Freund und Vaterland. (...)

Der Grenzwall der gallischen Lande und Hesperiens, der Grat der Pyrenäen, ist von dort aus nicht zu erkennen, meines Wissens nicht, weil ein Hindernis die Sicht versperrt, sondern nur, weil unser menschliches Sehvermögen zu schwach ist. Sehr klar sah ich dagegen zur Rechten die Gebirge der Provinz von Lyon, zur Linken sogar den Golf von Marseille und den, der gegen Aigues-Mortes brandet, und dabei ist dies einige Tagesreisen weit entfernt. Die Rhone hatte ich geradezu vor Augen. Ich betrachtete nun eins nach dem anderen voll Staunen; ich genoß bald das Irdische, bald erhob ich nach dem Beispiel des Leibes auch die Seele zum Höheren, und da erschien es mir gut, einen Blick in das Buch der Bekenntnisse des Augustinus zu werfen.

Dieses Buch ist das Geschenk deiner Liebe; ich bewahre es treu im Gedenken an den Autor wie an den Spender und trage es stets bei mir. Es ist ein Büchlein, das in einer Faust Platz hat, winzig klein im Format, aber unermeßlich in seinem Zauber. Ich öffne es, um die Stelle zu lesen, die sich mir gerade darbietet. Was anderes konnte mir denn entgegentreten, als Worte der Frömmigkeit und Demut? Zufällig aber stieß ich auf das zehnte Buch. Mein Bruder stand in der Erwartung, aus meinem Munde etwas von Augustinus zu hören, mit gespannter Aufmerksamkeit da. Gott selbst und ihn, der dabei war, rufe ich zu Zeugen an, daß dort, wo mein Blick zuerst hinfiel, folgendes geschrieben stand: "Und es gehen die Menschen hin, zu bestaunen die Höhen der Berge, die ungeheuren Fluten des Meeres, die breit dahinfließenden Ströme, die Weite des Ozeans und die Bahnen der Gestirne und vergessen darüber sich selbst." Ich war wie betäubt, ich gestehe es, ich bat meinen Bruder, der begierig war, noch weiteres zu vernehmen, mich nicht zu stören, und schloß das Buch. Zorn erfaßte mich auf mich selber, daß ich immer noch irdischen Dingen Bewunderung zollte, hätte ich doch schon längst von den Philosophen der Heiden lernen können, daß nichts Bewunderung verdient außer der Seele. Nur sie allein ist groß, sonst nichts. Da ließ ich es mir genug sein mit dem, was ich von dem Berg gesehen hatte, ich wandte das innere Auge auf mich selbst, und von da an hat mich niemand ein Wort reden hören, bis wir unten ankamen. Jener Ausspruch bot mir genügend Stoff zum Nachdenken in der Stille. (...)

Mit welchem Eifer müßten wir uns bemühen, keine höher gelegene Gegend auf der Erde, sondern die irdischen Triebe und Begierden unter die Füße zu treten! Während die Gedanken so mein Innerstes aufwühlten und ich dabei nicht merkte, wie steinig der Weg war, kam ich in tiefer Nacht zu der ländlichen Herberge zurück, von wo ich in der Morgendämmerung aufgebrochen war. Die mondhelle Nacht bot uns willkommene Hilfe beim Abstieg. Während die Dienerschaft mit der Zubereitung des Abendessens beschäftigt war, zog ich mich derweil in einen ruhigen Winkel des Hauses zurück, um Dir dies hier in Eile und aus dem Stegreif zu schreiben. Ich wollte es nicht aufschieben, denn mit dem Ort wechseln auch die Empfindungen, und der Eifer zu schreiben kühlt sich ab.

Sieh also, liebevollster Vater, wie ich nichts, was in mir ist, vor Deinen Augen verhehlen will. Nicht nur den Ablauf meines Lebens, sogar alle meine Gedanken lege ich offen vor Dir dar. Bete für sie, ich bitte dich: Da sie so lange unstet und unbeständig waren, möchten sie endlich einen festen Standort finden, und da sie so unnütz von einem zum anderen geflattert sind, möchten sie sich nun zu dem Einen, Guten, Wahren, Sicheren und Dauernden hinwenden.

Lebe wohl!

Am 26. April 1326 zu Malaucène.

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Peter Sadlon
Updated Sept 10th 2007

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